Interviews mit Wohnmobilherstellern Zeitungsinterview

Alexander Leopold, Erwin Hymer Group

Eine globale Perspektive vom Steuerstand der EHG

Ein Jahr nach unserem letzten Gespräch haben wir uns erneut mit dem CEO der Erwin Hymer Group zusammengesetzt, um über eine völlig veränderte Marktlandschaft zu sprechen. Von den Herausforderungen im Handel, der Notwendigkeit eines konsequenten Marken- und Produktmanagements über Führungskultur bis hin zur Elektrifizierung – Alexander Leopold gibt einen offenen und strategischen Ausblick darauf, was nötig ist, um in der heutigen Freizeitfahrzeugbranche erfolgreich zu sein.

Text: Antonio Mazzucchelli, Fotos: Enrico Bona

Als wir Alexander Leopold, CEO der Erwin Hymer Group, zuletzt interviewten, befand sich die europäische Freizeitfahrzeugbranche noch im Aufschwung nach der Pandemie. Die Auftragsbücher waren voll, die Lagerbestände niedrig und die größten Sorgen galten den Unterbrechungen der Lieferketten und den Produktionsengpässen. Nur ein Jahr später hat sich die Lage erheblich verändert – aber nicht unbedingt zum Schlechten. In unserem aktuellen Gespräch beleuchten wir mit Alexander Leopold, wie die EHG das komplexere Umfeld von heute meistert. Dabei kommen Themen wie Lagerbestände der Händler, Produktionsrückgänge, Produktinnovationen, Führungskultur, Elektrifizierung und sogar die Rolle der Holdinggesellschaft bei der Förderung der Markenagilität zur Sprache. Seine Botschaft ist klar: Die Branche befindet sich nicht in einer Krise, sondern in einer Transformation. Und in Zeiten des Wandels kommt es vor allem auf Weitblick, Flexibilität und den Mut zu schwierigen, aber notwendigen Entscheidungen an. Ein offenes Gespräch mit einer der wichtigsten Stimmen der globalen Freizeitfahrzeugbranche.

Camper Professional – Nach mehreren intensiven Jahren tritt der europäische Frei-zeitfahrzeugmarkt nun in eine vorsichtigere Phase ein. Campervans bleiben stabil, teilintegrierte Modelle legen wieder zu, Urban Camper verzeichnen einen starken Rückgang und das Caravan-Segment verliert weiter an Boden. Wie überdenkt die EHG ihr Produktangebot als Reaktion auf diese Trends?

Alexander Leopold – Wenn wir uns die Zulassungsdaten ansehen, konzentrieren wir uns auf einen rollierenden 12-Monats-Zeitraum, um ein klareres Bild vom Markt zu bekommen. Das Segment der Campervans hatte in den vergangenen Jahren ein starkes Wachstum verzeichnet, das sich derzeit stabilisiert. Dies steht im Einklang mit unserer langfristigen Strategie, unsere Präsenz in diesem Segment zu stärken. Heute bieten viele unserer Marken eine breite Palette von Campervans an. Mit einem Marktanteil von rund 25 % sind wir der führende Anbieter von Campervans in Europa und sehen noch weiteres Wachstumspotenzial. Im Wohnmobilsegment haben wir eine Verlagerung der Nachfrage hin zu günstigeren Produkten festgestellt. Wir haben daher beschlossen, unser Angebot im Bestpreis-Segment zu erweitern und die Marke Corigon einzuführen. Obwohl wir bereits mehrere Marken in diesem Segment haben, haben wir Regionen und Händler in ganz Europa gefunden, die noch keine EHG-Marke vertreten. Wir glauben, dass die Minimierung der logistischen Distanz zwischen Kunden und Händlern die Attraktivität der Marke erhöht. Das ist der Grundgedanke hinter Corigon: neue Gebiete mit einem eigenen Händlernetz zu bedienen, Überschneidungen mit unseren bestehenden Marken zu vermeiden und letztendlich unseren Marktanteil auszubauen. Das Caravan-Segment hingegen befindet sich, abgesehen von einem vorübergehenden Aufschwung während der COVID-Pandemie, in einem langfristigen Rückgang. Es ist unklar, ob wir die Talsohle bereits erreicht haben, aber mit über 50.000 verkauften Einheiten pro Jahr in Europa ist es nach wie vor ein bedeutender Markt. Trotz begrenzter Wachstumsaussichten bleiben Wohnwagen ein wichtiger Teil unserer Strategie. Wir passen uns an, indem wir die Kosten kontrollieren und sicherstellen, dass wir die Bedürfnisse dieser Kundengruppe erfüllen, auch wenn das Segment im Laufe der Zeit weiter schwächeln sollte.

Camper Professional – Das Segment der Urban Camper scheint laut aktuellen Zahlen ebenfalls zu schwächeln. Wie sehen Sie das? War es nur ein vorübergehender Trend oder glauben Sie weiterhin an sein Potenzial?

Alexander Leopold – Ich glaube nicht, dass er verschwindet. Als ich vor über zehn Jahren in die Branche kam, wurde das Segment der Urban Camper von einigen wenigen Automobilherstellern dominiert, die die Umbauten entweder selbst vornahmen oder auslagerten. Wir als Freizeitfahrzeug-Hersteller sahen Potenzial, in diesen Bereich einzusteigen, obwohl wir von den Preisen für die Basisfahrzeuge abhängig waren – und die Umbauarbeiten im Vergleich zu einem kompletten Wohnmobil recht begrenzt sind. Anfangs war das eine Win-win-Situation. Die Autohersteller hatten erkannt, dass wir keine Konkurrenten sind, da wir unterschiedliche Kundengruppen bedienen – sie richteten sich an Autoliebhaber, wir sprachen Camper an. Aber COVID hat alles verändert: Die Fahrzeugpreise sind dramatisch gestiegen, ebenso wie unsere. Dies führte zu einem Rückgang der Nachfrage. Die meisten unserer Marken haben die Produktion der Urban Camper eingestellt, weil sie einfach zu teuer geworden sind. Jetzt haben wir die Produk-tion mit Crosscamp wieder aufgenommen. Die Rentabilität des Segments hängt stark vom Preis ab. Wenn wir einen attraktiven Preis anbieten können, ist der Markt für uns da. Und das bringt mich zu einem wichtigen Punkt: Als Branche müssen wir erschwingliche Einstiegsprodukte anbieten. Ich bin überzeugt, dass die Welt der Freizeitfahrzeuge nach wie vor sehr attraktiv ist, aber nicht jeder Neukunde kann oder will 70.000 bis 80.000 Euro für sein erstes Fahrzeug ausgeben. Das Gesamtpaket muss für jüngere Altersgruppen attraktiv sein. Millennials haben andere Erwartungen an Produkte, Kaufverhalten und Reisen. Sie legen Wert auf digitale Tools, immersive Technologien und neue Formen der Interaktion – diesen Erwartungen muss man gerecht werden.

Camper Professional – Auf der MELVI 2025 erklärte Hubert Brandl, wie Niesmann+Bischoff durch eine radikale Vereinfachung seiner Produktpalette mehr Effizienz und Kundenzufriedenheit erreicht hat. Wir wissen, dass Bürstner einen ähnlichen Weg eingeschlagen hat. Erwägen Sie angesichts des breiten und vielfältigen Portfolios der EHG auch in anderen Geschäftsbereichen eine Vereinfachung oder Rationalisierung?

Alexander Leopold – Bürstner hat unter der neuen Geschäftsführung schnell die Dring-lichkeit einer Transformation erkannt. Man hat nicht gewartet, sondern sofort gehandelt. Und sie hat gezeigt, wie schnell und effektiv ein solcher Prozess sein kann, wenn die Führungsmannschaft und die gesamte Organisation an einem Strang ziehen und sich engagiert einsetzen. Die Reduzierung von Komplexität senkt den Aufwand und die Kosten – aber die entscheidende Frage lautet immer: Werden die Erwartungen der Kunden weiterhin erfüllt? Wenn sie klug durchgeführt wird, kann die Vereinfachung zu einem besseren Produktangebot für Kunden und Händler, zu einfacheren Abläufen für interne Teams und Lieferanten und sogar zu einer höheren Produktqualität führen. Natürlich erfordert eine solche Veränderung eine starke Führung. Sie müssen Befürworter und Gegner der Transformation identifizieren und beide einbinden. Manchmal müssen wir schwierige Entscheidungen treffen, einschließlich Veränderungen im Managementteam. Das neue Führungsteam von Bürstner hat ebenfalls die notwendigen Entscheidungen getroffen – und es hat eine vertrauensvolle Beziehung zum Betriebsrat aufgebaut, was in vielen Unternehmen in Deutschland unerlässlich ist. Das Ergebnis ist, dass die gesamte Organisation jetzt fokussierter und motivierter ist – und auch die Händler sind mit an Bord. In einer solchen Phase zu führen bedeutet, lang gehegte Annahmen zu überdenken – selbst wenn man seit 20 Jahren in der Branche tätig ist. Man muss seine eigene Denkweise hinterfragen. Ich glaube an das Sprichwort: „Wenn man Dinge so macht, wie man sie in den letzten zehn Jahren gemacht hat, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass man sie heute falsch macht.“ Ich halte das für sehr wahr. Transformation erfordert auch Mut – den Mut, etablierte Routinen in Frage zu stellen, kalkulierte Risiken einzugehen und einen neuen Weg nach vorne zu definieren. Das versuchen wir auch unseren jungen Führungskräften zu vermitteln: wie man eine Vision entwickelt, sie in eine Strategie umsetzt und klare Maßnahmen definiert, um sie zu erreichen. Als Führungskraft muss man in der Lage sein, ehrgeizige, anspruchsvolle Ziele zu setzen – sogenannte Stretch Goals. Ich habe mit solchen Stretch Goals sehr gute Erfahrungen gemacht. Aber um auf die Eingangsfrage zurückzukommen: Das bedeutet nicht, dass jede Marke der EHG genau den Ansatz von Bürstner verfolgen wird. Jedes Unternehmen hat seine eigene Situation, seine eigenen Herausforderungen und Wachstumschancen. Ich glaube, dass viele Unternehmen in unserer Branche eine Transformation benötigen – aber nicht alle brauchen die gleiche Art von Transformation. Das ist die eigentliche Herausforderung: zu verstehen, welche Art von Veränderung für den jeweiligen Kontext und – was am wichtigsten ist – für die zukünftige Positionierung richtig ist.

Camper Professional – Die EHG hat wichtige Schritte unternommen, um Plattformen zu harmonisieren und die Zusammenarbeit zwischen den Marken zu fördern. Gleich-zeitig haben Sie eine starke Markenautonomie bewahrt. Wie schaffen Sie heute die richtige Balance zwischen Effizienz und Flexibilität? Und wie ist die Produktinnovati-on innerhalb der Gruppe organisiert?

Alexander Leopold – Jede unserer Marken ist vollständig verantwortlich für ihre Produktstrategie, ihr Design und ihr Gesamtangebot. Natürlich geben wir einen allgemeinen Rahmen vor – wir haben unser Portfolio nach Preissegmenten (Best Price, Best Price/Value und Best Value) und nach Zielgruppen vom Abenteurer bis hin zum Traditionalisten gegliedert. Innerhalb dieses Rahmens agieren die Marken jedoch unabhängig voneinander. Sie brauchen keine Genehmigung der Holding, um ein neues Produkt zu entwickeln – das liegt in ihrer Verantwortung. Dennoch hat sich innerhalb der Gruppe eine Kultur der Zusammenarbeit entwickelt. Die Marken haben erkannt, dass die Zusammenarbeit – zum Beispiel durch das Teilen von Kosten oder die Entwicklung standardisierter Komponenten – echte Vorteile bringt. Vor allem für die Effizienz. Wenn es um Innovationen geht, verfolgen wir einen maßgeschneiderten Ansatz. Im Best Price Segment stehen die Kosten im Vordergrund, daher erwarten wir dort keine bahnbrechenden Innovationen. In den höheren Segmenten – Best Price/Value und Best Value – sind Innovationen jedoch unerlässlich, da diese Produkte einen höheren Preis rechtfertigen müssen. Jede Marke ist für die Umsetzung ihrer eigenen Innovationsstrategie verantwortlich. Um dies zu unterstützen, haben wir das Innovation Camp ins Leben gerufen – ein kleines, agiles Team, das direkt mit den Marken zusammenarbeitet. Die Marken übernehmen die Führung: Sie bitten das Innovation Camp bei Bedarf um Unterstützung, beispielsweise bei der Suche nach nachhaltigen Materialien, neuen Innenraumkonzepten oder Ideen zur Raumoptimierung. Der Vorteil des Innovation Camps besteht darin, dass es nicht in den Tagesbetrieb eingebunden ist. Durch die physische und organisatorische Trennung hat es die Freiheit, kreativ zu denken und sich auf längerfristige Entwicklungen zu konzentrieren – Ideen, die vielleicht erst in zwei, drei oder vier Jahren relevant werden. Aber das Ziel ist es, mutige, und kundenorientierte Konzepte zu entwickeln, nicht Innovationen um der Innovation willen.

Camper Professional – Auf der MELVI 2025 betonten viele Referenten die Notwen-digkeit von Agilität in der Produktentwicklung – kürzere Vorlaufzeiten, weniger inter-ne Bürokratie und eine größere Risikobereitschaft. Wie würden Sie die Agilität der EHG heute einschätzen? Was tun Sie, um schnellere Entscheidungen und reaktions-schnellere Abläufe zu unterstützen?

Alexander Leopold – Um agil zu sein, braucht man Eintscheidungskraft genau dort, wo Produkte entworfen und entwickelt werden. Deshalb greifen wir als Konzern nicht in die Produktentwicklungsprozesse unserer Marken ein. Sie sind vollständig für ihre eigenen Zeitpläne und Innovationen verantwortlich. Es gibt keine Bürokratie, die sie ausbremst – sie müssen keine Genehmigungen einholen, es sei denn, es handelt sich um erhebliche Investitionen in Werkzeuge, und selbst dann sind unsere Genehmigungsprozesse schnell und effizient. Einige Marken sind bereits sehr schnell und reaktionsfähig. Andere müssen noch daran arbeiten, ihre Markteinführungszeiten zu verkürzen – aber auf dem nächsten Caravan Salon Düsseldorf werden Sie sehen, dass unsere Marken viele neue und innovative Produkte vorstellen. Sie haben verstanden, wie wichtig Agilität ist. Ich stimme der Botschaft von MELVI voll und ganz zu: Die Welt verändert sich, und wir befinden uns in einem Wandel. Geschwindigkeit ist ein Wettbewerbsvorteil, und wir investieren in Tools, die dies unterstützen – insbesondere in Digitalisierung und KI. Diese Technologien helfen uns, unsere Prozesse zu beschleunigen, aber sie funktionieren nur, wenn die zugrunde liegenden Prozesse bereits schlank sind. Wenn man einen fehlerhaften oder ineffizienten Prozess digitalisiert, hilft das nicht – man macht die Ineffizienz nur schneller. Deshalb legen wir zunächst Wert auf schlankes Denken. Dann setzen wir digitale Tools und die KI ein, um weitere Geschwindigkeit zu gewinnen. Das ist auch eine unserer Stärken als Gruppe: Wir haben auf Holdingebene ein starkes KI-Team aufgebaut und arbeiten eng mit talentierten, enthusiastischen KI-Experten innerhalb der Marken zusammen. Gemeinsam entwickeln sie Anwendungsfälle, die unsere Arbeitsweise ent-scheidend verändern. Natürlich muss immer ein Gleichgewicht zwischen Standardisierung und Flexibilität gefunden werden. Manchmal bringt Standardisierung enorme Vorteile – in anderen Fällen kann sie jedoch zu Verzögerungen führen oder die Anpassungsfähigkeit einschränken. Wir gehen mit diesem Kompromiss vorsichtig um. Unsere Regel ist einfach: Wir standardisieren nur, wenn die Vorteile die Kosten eindeutig überwiegen – in Bezug auf Geschwindigkeit, Effizienz oder Skalierbarkeit.

Unten: Bürstner Habiton 2025 Rendering von StudioSyn.

Camper Professional – In den vergangenen Jahren haben die Spannungen zwischen OEMs und Zulieferern hinsichtlich Kosten, Margen und Verantwortlichkeiten zugenommen. Hat das Beziehungsmodell zwischen Herstellern und Zulieferern einen Wendepunkt erreicht? Welche Art von Partnerschaft ist Ihrer Meinung nach erforder-lich, um eine gesunde Zukunft für beide Seiten zu gewährleisten?

Alexander Leopold – Um ein widerstandsfähigeres und wettbewerbsfähigeres Unternehmen aufzubauen, müssen wir mehr Verantwortung für unsere technischen Anforderungen übernehmen. Wir haben begonnen, mehr in unsere eigene Forschung und Entwicklung zu investieren, um interne Komponentenspezifikationen zu entwickeln – mit anderen Worten: Wir definieren jetzt genau, was wir in Bezug auf Leistung, Materialien und Abmessungen benötigen. Dank unseres hauseigenen Testzentrums haben wir viel über das technische Verhalten und die Haltbarkeit unserer Komponenten gelernt, sodass wir präzise Spezifikationen erstellen und fundierte Entscheidungen treffen können. Das gibt uns die Freiheit, für jede Spezifikation den besten Lieferanten zu suchen. Lieferanten, die unsere Preis-, Qualitäts- und Nachhaltigkeitskriterien erfüllen, finden in uns einen starken und zuverlässigen Partner. Für diejenigen, die dies nicht tun, habe ich eine klare Botschaft: Wir halten an unseren Partnerschaften fest, aber nicht um jeden Preis.

Camper Professional – „Überbestände“ waren – und sind in einigen Fällen noch immer – eine Herausforderung in vielen europäischen Märkten. Wie hat die EHG sein Händlernetzwerk bei der Bewältigung dieser Situation unterstützt?

Alexander Leopold – Diese Situation hat uns nicht überrascht – überhaupt nicht. Im Gegensatz zu einigen Marktteilnehmern, die davon überrascht wurden, haben wir diese Entwicklung frühzeitig erkannt. Das verdanken wir einem starken Überwachungssystem, das wir eingerichtet haben: Wir verfolgen die Lagerbestände der Händler fast täglich und haben einen klaren Überblick über die Marktentwicklung. Dank dieser Transparenz konnten wir frühzeitig Maßnahmen ergreifen. Wir haben die Produktion in bestimmten Werken zurückgefahren und standen in engem Kontakt mit unseren Händlern. Wir haben Partner identifiziert, die möglicherweise in Schwierigkeiten geraten könnten, und sie unterstützt – nicht nur durch eine Reduzierung der Lagerbestände, sondern auch durch gezielte digitale Marketingmaßnahmen, um ihnen zu helfen, ihren Absatz zu steigern. Letztendlich geht es darum, über die richtigen Daten zu verfügen, die richtige Strategie zu definieren und die richtigen Maßnahmen zum richtigen Zeitpunkt umzusetzen. So konnten wir die Situation proaktiv statt reaktiv bewältigen. Aber letztendlich kommt es nicht nur auf ein professionelles Frühwarnsystem an. Es braucht auch die richtigen Entscheidungen des Managementteams, um „vor der Welle zu sein“ und nicht von ihr überrollt zu werden.

Camper Professional – Auf der jüngsten ECF-Sitzung in Bern wurde eine bessere Koordination zwischen Herstellern, Zulieferern und Händlern gefordert, um Fehlentwicklungen im Markt wie „Überbestände“ zu vermeiden. Was hat die EHG aus den letzten zwei Jahren gelernt und welche Schritte unternimmt sie, um ein widerstandsfähigeres und besser abgestimmtes Wirtschaftssystem aufzubauen?

Alexander Leopold – Zunächst einmal möchte ich sagen, dass es noch schlimmer hätte kommen können. Die aktuelle Situation hat uns nicht überrascht – wir haben sie kommen sehen und schon vor Monaten begonnen, Maßnahmen zu ergreifen. Ich weiß, dass auch einige andere Marktteilnehmer reagiert haben. Aber wenn niemand frühzeitig reagiert hätte, wäre die Lage weitaus kritischer. Im Moment ist sie noch überschaubar – genau wie wir es erwartet hatten. Was uns geholfen hat, waren unsere Vorbereitung und unsere Struktur. Wenn man einen großen, markenübergreifenden Konzern wie die EHG leitet, der in verschiedenen Preissegmenten und mit unterschiedlichen Kundenprofilen tätig ist, braucht man einen klaren Plan und einen festen Rhythmus, um alle an einem Strang ziehen zu lassen. Jedes Jahr halten wir eine konzernweite Strategiesitzung mit allen un-seren Marken ab, um uns abzustimmen und gegebenenfalls unsere strategische Aus-richtung zu überarbeiten. Außerdem führen wir jährliche Budgetüberprüfungen und monatliche Leistungsbewertungen durch, um Daten konzernweit in Echtzeit auszutauschen. Dieser Prozess verschafft uns einen viel umfassenderen Überblick über den Markt. Durch die Zusammenführung und Analyse der Daten aller unserer Marken können wir wertvolle Erkenntnisse gewinnen, die jeder einzelnen Marke helfen, bessere Entscheidungen zu treffen. Oft ändert sich die Wahrnehmung einer Marke, sobald sie das Gesamtbild der Gruppe sieht. Diese gemeinsame Informationsbasis ist ein enormer Vorteil mit Blick auf die Branche insgesamt. Hier spielen Treffen wie die ECF oder nationale Verbandstagungen eine wichtige Rolle. Sie bieten eine Plattform für die Entwicklung eines gemeinsamen Verständnisses der Marktbedingungen. Sobald diese gemeinsame Basis geschaffen ist, kann jeder Hersteller die Maßnahmen ergreifen, die er für angemessen hält.

Camper Professional – Wenn in einer Konjunkturflaute ein Hersteller die Produktion drosselt, ein anderer jedoch nicht, leidet das Händlernetzwerk – und die Auswirkun-gen spüren alle. Selbst wenn die Überbestände nicht Ihre Schuld waren, werden sie zu Ihrem Problem. Sind Sie der Meinung, dass die Branche mehr Koordination anstreben sollte, um das gesamte Wirtschaftssystem zu schützen?

Alexander Leopold – Sie haben Recht. Auch wenn das Problem woanders liegt, spüren wir alle die Folgen. Aber so funktioniert der Markt. Innerhalb des gesetzlich zulässigen Rahmens ist ein Austausch möglich. Für uns als Hersteller sind der Caravaning-Industrieverband Deutschland (CIVD) und die European Caravanning Federation (ECF) die richtigen Plattformen, um gemeinsame Interessen zu vertreten und Initiativen wie die jüngste EU-Führerschein-Novelle zu unterstützen.

Camper Professional – Ich insistiere, weil Händler oft fragen: Warum kommunizieren die Hersteller nicht mehr? Warum gibt es keine gemeinsame Strategie?

Alexander Leopold – Es ist leicht, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Die Realität ist, dass einige Unternehmen aggressiver und bereit sind, größere Risiken einzugehen, um höhere Gewinne zu erzielen. Andere sind konservativer, risikoscheuer – und vielleicht langsamer, aber stabiler. So funktioniert das Geschäft nun einmal. Das gilt sogar innerhalb unserer Gruppe – auch bei unseren eigenen Marken gibt es eine unterschiedliche Risikobereitschaft. Und diese Vielfalt ist es in gewisser Weise, die den Markt dynamisch und interessant hält. Wir unterstützen einen fairen Wettbewerb.

Camper Professional – Haben Sie jemals darüber nachgedacht, Händler zu übernehmen oder ein Direktvertriebsnetz aufzubauen?

Alexander Leopold – Wir besitzen zwei Händlerbetriebe, aber das hat historische Gründe. Aus heutiger Sicht sehe ich keinen Mehrwert darin, unsere Präsenz im Einzelhandel auszubauen. Ich bin fest von der Unabhängigkeit und dem Unternehmergeist unserer Handelspartner überzeugt. Als Gruppe glaube ich nicht, dass wir durch den Besitz weiterer Händlerbetriebe zusätzliche Vorteile erzielen könnten. Deshalb haben wir keine Plä-ne, in neue Einzelhandelsgeschäfte zu investieren. Wir wollen die erste Wahl für unabhängige Händler sein – und das wollen wir durch Produktqualität, Innovation, starken Service und attraktive Marken erreichen. Wenn wir unabhängigen Händlern einen ausreichenden Mehrwert bieten können, können wir unserer Meinung nach das stärkste Händlernetzwerk aufbauen, ohne es selbst besitzen zu müssen. Das ist unser Ansatz – und für uns ist das sinnvoller, als direkt in den Einzelhandel einzusteigen.

Camper Professional – Die EU hat sich das klare Ziel gesetzt, Verbrennungsmotoren bis 2035 aus dem Verkehr zu ziehen, aber unsere Branche scheint noch weit von ei-ner ausgereiften Elektro-Lösung entfernt zu sein. Sehen Sie eine Zukunft, in der Wohnmobilhersteller ihre eigenen Elektroantriebe entwickeln, oder werden wir weiterhin von Automobil-Plattformen und -Zeitplänen abhängig sein? Wo steht die Entwicklung von Elektro-Wohnmobilen heute wirklich und was sind die größten Hindernisse – Reichweite, Gewicht, Kosten oder Infrastruktur?

Alexander Leopold – Wir halten uns alle Optionen offen. Unsere Muttergesellschaft Thor Industries hat in Zusammenarbeit mit Harbinger, einem führenden Hersteller von mittelschweren Elektro- und Hybridfahrzeugen, das weltweit erste hybride Wohnmobil der Klasse A entwickelt, das das fortschrittliche Elektrofahrzeug-Chassis von Harbinger mit einem emissionsarmen Benzin-Range-Extender kombiniert, der die elektrischen Batterien aufladen kann. Das speziell für Wohnmobile entwickelte Fahrzeug-Chassis hat eine Reichweite von ca. 500 Meilen, davon 150 Meilen im rein elektrischen Betrieb. Thor Industries und Harbinger wurden gerade von Fast Company für ihr Hybrid-Wohnmobil mit dem „2025 World Changing Ideas Award“ ausgezeichnet. Derzeit arbeiten unsere Chassis-OEMs intensiv daran, Plattformen zu entwickeln, die auf unsere Bedürfnisse zugeschnitten sind. Wir werden aber kein Produkt auf den Markt bringen, nur um der Erste zu sein. Unsere Philosophie ist klar: Wenn wir ein elektrisches Wohnmobil auf den Markt bringen, muss es ausgereift, zuverlässig und umfassend getestet sein. Wir möchten, dass unsere Kunden wissen, dass sie ein echtes Produkt kaufen – keinen Prototypen oder Vorserienfahrzeug – und dass es die hohen Standards erfüllt, die sie heute von uns erwarten.

Camper Professional – Was ist Ihre persönliche Meinung zu diesem Ziel? Glauben Sie, dass wir in 10 Jahren so weit sein werden, oder wird Europa den Termin verschieben, weil die Technologie nicht attraktiv oder erschwinglich genug sein wird?

Alexander Leopold – Es wird kein Problem sein, ein elektrisch angetriebenes Fahrzeug in der Gewichtsklasse bis 4,25 Tonnen anzubieten. Ich bin zuversichtlich, dass es nicht noch einmal 10 Jahre dauern wird, bis wir ein attraktives Produkt anbieten können. Das wird viel früher geschehen. Auch in der Automobilindustrie sehen wir, dass die Produktangebote immer attraktiver werden und ein zunehmender Anteil der neu verkauften Fahrzeuge elektrisch angetrieben sein wird.

Camper Professional – Wie positionieren Sie in diesem Zusammenhang das Konzept Dethleffs E.Home Eco? Handelt es sich um eine Studie, die wirklich zukünftige Trends vorwegnimmt?

Alexander Leopold – Ja, auf jeden Fall. Und ich denke, mein Kollege Bernhard Kibler hat bereits kommuniziert, dass sie dieses Produkt in den kommenden Jahren wirklich auf den Markt bringen wollen. Dabei geht es auch um neue nachhaltige Materialien. Darüber haben wir gerade gesprochen, ebenso wie über den Einfluss unseres Innovation Camps, das versucht, neue, attraktive Materialien zu finden. Aber auch hier geht es immer darum, die richtige Balance zu finden – was sinnvoll und was bezahlbar ist. Wenn man Vorreiter sein will, muss man testen, was der Markt akzeptiert und was nicht. Und das kann man nicht einfach am Schreibtisch tun – man muss einen Prototyp bauen, eine Konzeptstudie entwickeln und wirklich auf den Markt und die Kunden hören, um ein Gefühl dafür zu bekommen. Das kostet natürlich Mühe und Geld, aber dafür erhält man wertvolles Feedback von den Endkunden. Und genau das bekommen unsere Marken mit ihren Konzeptstudien.

Unten: EHG Test Center (links) und Corigon-Campervan.

Camper Professional – Als Teil eines globalen Konzerns wie Thor Industries kommen natürlich unterschiedliche Visionen, Kulturen und Prioritäten zusammen. Wie würden Sie die derzeitigen Beziehungen zwischen den europäischen und nordamerikani-schen Seiten des Konzerns beschreiben? Gibt es eine strategische Ausrichtung oder überwiegt nach wie vor die Autonomie?

Alexander Leopold – Die Kulturen sind unterschiedlich, aber wir haben eine gemeinsame Vision. Die Anforderungen der jeweiligen Märkte geben das Tempo und die marktspezifischen Initiativen vor. Natürlich gibt es eine strategische Ausrichtung und einen regelmäßigen Austausch, um voneinander zu lernen und zu profitieren. Unter anderem koordinieren wir uns regelmäßig in den Bereichen Innovation, Produktentwicklung, Digitalisierung und Automatisierung. Die Zusammenarbeit und der regelmäßige Austausch mit der Führung von Thor funktionieren so reibungslos, weil auf beiden Seiten des Atlantiks viel Branchen-Know-how vorhanden ist. Wir profitieren jedoch nicht nur von der Branchenkompetenz, sondern auch von der klaren Strategie und der Finanzkraft unserer Muttergesellschaft. Es passt einfach perfekt.

Camper Professional – Junge, qualifizierte und motivierte Menschen zu gewinnen, ist eine der größten Herausforderungen für Unternehmen in unserer Branche. Wie arbeitet die EHG daran, neue Talente zu gewinnen, in einem Umfeld, in dem die Fertigungsindustrie oft weniger attraktiv erscheint als andere Branchen? Haben Sie spezielle Initiativen für Ausbildung, interne Entwicklung oder Partnerschaften mit Uni-versitäten ins Leben gerufen?

Alexander Leopold – Sie glauben gar nicht, wie viele Menschen aus ganz anderen Branchen uns ihre Bewerbungen schicken – darunter auch junge Talente von namhaften Automobilherstellern –, um sich nach Trainee-Programmen oder Stellenangeboten zu erkundigen. Unsere Branche ist für viele Menschen unglaublich attraktiv. Natürlich sind Autos und Lkw auch interessant, aber Wohnmobile sind Lifestyle-Produkte – jeder kennt sie, jeder kann sie nutzen, und es besteht eine starke emotionale Bindung. Diese Identifikation mit dem Produkt macht unsere Branche für junge Menschen besonders interessant. Hinzu kommt die breite Erfahrung, die wir bieten können: internationale Projekte, die Möglichkeit, im Ausland zu arbeiten, berufliche Weiterentwicklung oder Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb verschiedener Marken oder von einer Marke zur Holding oder umgekehrt – all das fördern wir aktiv bei der Erwin Hymer Group. Das kommt bei den Menschen zweifellos gut an. Wir haben auch interne Führungskräfteprogramme ins Le-ben gerufen, in denen wir junge Talente zusammenbringen und sie mehrmals im Jahr mit externen Coaches schulen, wobei der Schwerpunkt auf Führungskompetenzen liegt. Das Tolle daran ist, dass an diesen Veranstaltungen Mitglieder aus der gesamten Gruppe teilnehmen – von Hymer, Goldschmitt, Laika, unserem Standort in Großbritannien, unserem Standort in Nowa Sól, Polen, und vielen mehr. Sie vernetzen sich, tauschen Ideen aus, vergleichen sich miteinander – und das schafft eine ganz andere Dynamik als wenn man mit jemandem spricht, der seit 30 Jahren bei einer einzigen Marke ist. Die jüngeren Talente arbeiten markenübergreifend zusammen, sie finden ganz natürlich zueinander, und das ist Teil unserer Kultur geworden. Das ist besonders wichtig in Bereichen wie der Digitalisierung, wo wir echte Spezialisten brauchen. Die Produktdigitalisierung erfordert hochqualifizierte Mitarbeiter – oft kommen sie von führenden Automobilzulieferern oder OEMs. Wir müssen also als Arbeitgeber wirklich attraktiv sein, um sie für uns zu gewinnen. Und es scheint, dass wir etwas richtig machen – ehrlich gesagt sind wir ein bisschen stolz darauf.

Camper Professional – Eine Gruppe wie die EHG durch eine so komplexe Phase zu führen, die von Marktveränderungen, wirtschaftlichem Druck und technologischem Wandel geprägt ist, erfordert Weitblick, aber auch ein starkes menschliches und kulturelles Fundament. Was sind heute Ihre drei wichtigsten Führungsprioritäten als CEO? Und welche Werte halten Sie für wesentlich, um das Unternehmen in den kommenden Jahren zu führen: Resilienz, Innovation, Nachhaltigkeit, soziale Verant-wortung – oder etwas anderes?

Alexander Leopold – Wir haben vorhin kurz das Thema Führung angesprochen, insbesondere in einer Phase des Wandels. Zuallererst braucht man eine klare Vision. Unsere Vision ist es, allen Menschen einzigartige Reiseerlebnisse im Einklang mit der Natur zu ermöglichen. Das ist die Grundlage. Aus dieser Vision muss man dann eine konkrete Strategie ableiten. Man muss auch Verantwortung übernehmen – für die Vision selbst, für die Strategie und dafür, beides in konkrete Maßnahmen umzusetzen. Um das effektiv zu tun, braucht man insbesondere in Zeiten des Wandels die richtigen Mitarbeiter. Deshalb haben wir für unsere Geschäftsführer, Führungskräfte und Talente ein „Kompetenzprofil” definiert – im Wesentlichen einen Katalog mit den wichtigsten Kriterien, die wir von unseren Führungskräften erwarten. Die erste und wichtigste Kompetenz ist die Fähigkeit, eine Vision zu entwickeln und Strategien zu definieren. Dann kommt die Verantwortlichkeit – die Bereitschaft und Fähigkeit, Verantwortung für diese Strategie zu übernehmen und die notwendigen Schritte umzusetzen. Aber um ihr Team tatsächlich mitzunehmen, brauchen sie auch Empathie. Sie müssen zuhören, motivieren, inspirieren – aber auch wissen, wann sie entschlossen handeln müssen. Das Timing ist entscheidend. Einen Veränderungsprozess zu leiten, ist immer eine Herausforderung. Aber mit der richtigen Einstellung und den richtigen Fähigkeiten ist es möglich. Was Werte angeht, sind diese genau für mich wichtig und die die unser Unternehmen ausmachen: unternehmerisches Denken, ein starker Teamgeist und Innovationskraft – die Fähigkeit, über den Tellerrand hinauszuschauen. Und vielleicht am wichtigsten ist eine gesunde Kultur des Scheiterns. Das bedeutet, zu erkennen, dass Fehler passieren – wir alle machen sie, jeden Tag –, aber was zählt, ist, wie man mit Fehlern umgeht: mit den eigenen und denen des Führungsteams. Wenn sie damit gut umgehen können, haben sie das Zeug dazu, ein Unternehmen erfolgreich durch eine Phase des Wandels zu führen.